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12
Feb

“Escalation of commitment”: Interview Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christian Homburg

Eine neue Führungskultur und veränderte Prozesse bei der Produktentwicklung: Darauf müssen sich Unternehmen einstellen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Denn die Geschwindigkeit der digitalen Transformation potenziert sich jährlich.

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christian Homburg, Professor an der Universität Mannheim und Sieger des „BWL-Lebenswerk“-Rankings der WirtschaftsWoche 2019.

Wie sieht marktorientierte Unternehmensführung im Jahr 2019 aus?

Die Digitalisierung hat zu einer Vielzahl an Veränderungen geführt, auf die Unternehmen schon reagiert haben oder dabei sind, zu reagieren. Sie alle zu nennen, würde hier den Rahmen sprengen. Lassen Sie mich deshalb nur zwei besonders hervorheben: Grenzen, die innerhalb von Unternehmen existieren, werden weniger wichtig. Interne Silos werden überwunden, um ein Projekt oder Produkt besser voranzubringen. Ein weiterer wesentlicher Punkt betrifft die Veränderung des Führungsstils. Führungskräfte können sich nicht mehr, wie es in der Vergangenheit der Fall war, auf die bisherigen Mechanismen stützen.

Was bedeutet dies konkret?

Der Führungsstil muss sich wesentlich verändern. Tatsächlich erwartet die Generation Y eine andere Art der Kommunikation. Hier müssen sich Vorgesetzte und Unternehmenskulturen anpassen. Man muss kollegialer führen und mehr auf Konsens zwischen den Mitarbeitern setzen. Der partizipative Führungsstil ist viel mehr gefragt, als derjenige von oben nach unten. Aber dieses Umdenken liegt manchen Führungskräften nicht immer. Ob und wie schnell Unternehmen sich den Gegebenheiten entziehen oder den Innovationen stellen, hängt mit der Einstellung der Führungskräfte zusammen. Meiner Einschätzung nach nehmen 60 Prozent die Veränderung an, 40 Prozent hinken hinterher.

Sie haben kürzlich in einem Interview mit der WirtschaftsWoche über ein aktuelles Projekt Ihres Lehrstuhls gesprochen: Den Einsatz von Virtual Reality, um neue Produkte im Vorfeld zu testen und die Flop-Rate zu senken. Wie war die Bereitschaft der Unternehmen hier mitzumachen?

Das Interesse der Unternehmen an Virtual Reality ist außerordentlich groß. Firmen stellen zunehmend fest, dass die Geschwindigkeit, neue Produkte auf den Markt zu bringen, immer höher wird und die Entwicklung somit auch immer teurer. VR ermöglicht hingegen, Neuheiten im Vorfeld zu testen.

Bild von Virtual Reality

Mit Virtual Reality Produkte bereits im Entwicklungsstadium testen

Nun ist die wissenschaftliche Forschung eine Seite, die Praxis aber eine andere. Werden Unternehmen VR auch einsetzen?

Ich gehe von einer hohen Umsetzungsquote aus. Denn Unternehmen suchen ständig nach Verbesserungsmöglichkeiten, um den Produkterfolg zu gewährleisten. Natürlich kostet der Einsatz von VR Geld. Aber es ist signifikant teurer, ein neues Produkt zu launchen und damit zu scheitern.

 

Sie haben auch zum Thema „Innovationen entstehen durch Kundeneinbindung“ publiziert. Im Zeitalter der Digitalisierung ist das ja einfacher als je zuvor. Wie ist Ihre Beobachtung: Nutzen Unternehmen die Möglichkeiten ausreichend?

Wir beobachten, dass gerade Unternehmen in Deutschland nach wie vor sehr technisch orientiert sind. Sie bleiben tendenziell dem Markt so lange fern, wie es möglich ist. Sie forschen so lange, wie es geht und bringen die Neuerung erst kurz vor der Markteinführung zum Kunden. Und dann ist es häufig zu spät.

Wie lautet Ihre Empfehlung?

Die Kunden müssen rechtzeitig mit eingebunden werden. Wir beschäftigen uns am Lehrstuhl gerade sehr intensiv mit dem Thema „Escalation of commitment“.

Was ist darunter zu verstehen?

Kurz gesagt: Steigende Verliebtheit in ein neues Produkt. Manager tendieren dazu, sich in ein neues Produkt zu verlieben und dabei immer mehr kritische Hinweise von außen zu übersehen. Deshalb wäre meine Empfehlung: Kunden und Mitarbeiter rechtzeitig einzubinden und auf dem Weg mitzunehmen. Darüber hinaus müssen Innovationsprozesse sehr genau kontrolliert werden. „Escalation of commitment“ kann man sehr genau erkennen, wenn man es systematisch beobachtet. Das findet nur noch nicht genug statt.

Das Interview wurde geführt von Sigrid Eck.